Autobosse im Interview: Das haben die neuen Chefs mit Opel vor

PSA-Chef Carlos Tavares (59, r.) und Opel-Boss Michael Lohscheller (48) im Renn-Overall auf dem Nürburgring

PSA-Chef Carlos Tavares (59, r.) und Opel-Boss Michael Lohscheller (48) im Renn-Overall auf dem Nürburgring. Den neuen Insignia GSI (260 PS) stellt Opel in dieser Woche auf der IAA in Frankfurt vor. Links ein Opel Manta A (200 PS) aus dem Jahr 1974, mit dem Walter Röhrl in Spa startete

Von: Von TANJA TRESER, DAN VON APPEN und CHRISTIAN SPREITZ (Fotos)

Dienstag Nachmittag auf der Nordschleife. Zwei Männer im schwarzen Renn-Overall schlendern durch die Boxengasse der deutschen Traditions-Rennstrecke in der Eifel, den Helm unterm Arm. Es sind PSA-Chef Carlos Tavares und der neue Opel-Boss Michael Lohscheller. Bild am Sonntag trifft die beiden Wirtschaftsführer in Box 8 zu ihrem ersten Doppel-Interview.

BILD am SONNTAG: Herr Tavares, Sie sehen aus, als hätten Sie Spaß.

Carlos Tavares: „Mir geht es super. Ich war eine Woche mit meiner Frau an der Algarve. Das machen wir einmal im Jahr, nichts tun außer relaxen, lesen, schwimmen. Außerdem bin ich gerade 27 Runden Nordschleife gefahren im neuen Opel Insignia GSI und einem GTC OPC.“ (strahlt)

Sie waren schon als junger Mann Streckenposten in Estoril. Sie haben ein Rennteam nach Ihrer ältesten Tochter Clementine benannt. Woher kommt diese Renn-Begeisterung?

Tavares: „Junge Väter haben solche verrückten Ideen. Ich gebe gerne Vollgas. Ich liebe den Motorsport, die Herausforderung, sich selbst zu verbessern. An die Grenzen zu gehen und gleichzeitig die Kontrolle zu behalten. Viele glauben, Schnelligkeit ist eine Frage, wieviel Risiko man eingeht. Das Gegenteil ist der Fall. Je unkontrollierter man das Auto fährt, desto langsamer ist man. An Geschwindigkeit muss man sich herantasten.“

Haben Sie als Manager vom Motorsport gelernt?

Tavares: „Klar. Man braucht ein gutes Team, das alles vorbereitet. Man lernt, wie man in Stresssituationen die Selbstkontrolle behält und das Beste aus den Leuten holt.“

Motorsport war über Jahrzehnte erfolgreicher Bestandteil Ihrer Markenstrategie: Peugeot in Le Mans, Opel in der DTM, Citroen im Rallye-Spitzensport. Sind die Zeiten endgültig vorbei?

Tavares: „Auch wenn ich ihn persönlich mag: Motorsport dient ausschließlich dem Marketing. Wenn wir uns da engagieren, müssen wir sicher gehen, dass wir mehr damit erreichen als mit einem großen Zeitungsinserat. Es geht um den ‘Return on Investment'. Als Peugeot zweimal die Rallye-Dakar gewann, wussten wir genau, wieviel Geld wir investiert hatten und was für uns dabei heraussprang. Natürlich ist das nicht ohne Risiko. Niemand kann garantieren, dass man gewinnt.“

88 Jahre war Opel Teil von GM, jetzt von PSA – was hat sich geändert? Gibt es jetzt besseren Kaffee?

Michael Lohscheller: „Wir haben einen europäischen Champion mit starken Traditionsmarken geschaffen und nun viele Möglichkeiten, Gemeinsamkeiten zu nutzen und uns zu verbessern. Der Crossland X und der Grandland X, der auf der IAA seine Weltpremiere feiert, zeigen das.“

Mal ehrlich, warum soll ich heute einen Opel kaufen?

Lohscheller: „Opel steht für deutsche Ingenieurskunst und emotionales Design. Wir bieten Hightech für alle. Wir machen zum Beispiel viel, um die Vernetzung im Auto allen zugänglich zu machen. Im Astra haben wir das LED-Matrixlicht eingeführt, mit dem man nachts die Straße wie unter Flutlicht sieht. So etwas haben sonst nur Luxus-Autos.“

PSA fordert von Opel, in drei Jahren profitabel zu sein. Wie wollen sie das schaffen?

Lohscheller: „Opel muss und wird profitabel sein. ICH verlange das. Das muss mir PSA nicht sagen. Wir werden viele Synergien – etwa in den Bereichen Entwicklung und Einkauf – nutzen. Wir erwarten bis 2026 jährliche Synergien in Höhe von 1,7 Milliarden Euro – einen wesentlichen Teil davon bis 2020. In der Vergangenheit haben wir im GM-Konzern versucht, weltweite Synergien zu finden, was teils sehr schwierig war.“

Der Konzern ist jetzt die No. 2 hinter VW in Europa. Der Vorwurf lautet eher, Sie müssen internationaler werden.

Tavares: „Was ist falsch daran, in Europa stark zu sein? Wir haben hier hochmotivierte Leute mit großer Kreativität. Warum sollen wir nicht von dieser starken Basis aus andere Märkte erobern?“

Werden wir bald Opel-Modelle auf Amerikas Straßen sehen?

Lohscheller: „Sie sehen schon heute Opel-Modelle auf US-Straßen – etwa den Kadett, Manta und GT aus den 70ern. (Lacht.) Aber im Ernst:  Sicher kann es auch außerhalb Europas interessante Export-Möglichkeiten für uns geben. Unsere Hauptaufgabe ist es aber nun erstmal, unsere Hausaufgaben in Europa zu machen.“

Herr Tavares, Sie haben den Opelanern gesagt, Sie werden ihnen helfen, das richtige Leistungsniveau zu erreichen. Verlängern Sie ihnen auch die Job-Garantie von GM über 2018 hinaus?

Tavares: „Der Status Quo ist keine Option. Der beste Weg, unser Unternehmen und unsere Belegschaft zu schützen, ist profitabel zu sein. Das müssen alle verstehen.“

Was heißt das für die Mitarbeiter?

Tavares: „Wir müssen zusammenarbeiten – und zwar besser als unsere Wettbewerber. Wir müssen anpassungsfähiger und schneller sein. Dann sind Arbeitsplätze automatisch sicher.“

Was ist für Sie typisch deutsch?

Tavares: „Deutschland steht für mich für Technologie, für die Fähigkeit Dinge umzusetzen. So, wie wir unsere Pläne gemeinsam mit Opel umsetzen. Das machen wir für die Mitarbeiter, um ein nachhaltiges, erfolgreiches Unternehmen Opel zu haben.“

Was ist für Sie typisch französisch?

Lohscheller: „Bei Frankreich denke ich an meinen besten Marathon in Paris. Bei der Zusammenarbeit mit PSA sehe ich so viel Kontinuität, Präzision, Disziplin, Pünktlichkeit, dass ich mir nicht sicher bin, ob das nur typisch deutsche Eigenschaften sind.“

Opel hat über Jahre populäre Autonamen vernachlässigt: Manta, Monza, Calibra und Rekord sind verschwunden. Glauben Sie, dass das Kürzel GSI am neuen Insignia ausreicht, um verlorene Traditionen zu pflegen?

Lohscheller: „Wir haben 155 Jahre fantastische Tradition und pflegen diese sehr stark – auch bei Namensgebung. Die aktuellen Namen unserer beiden Kleinwagen Adam und Karl etwa gehen auf unsere Gründerfamilie zurück.“

Wir werden also künftig keine künstlichen internationalisierten Namen sehen?

Tavares: „In diese markenspezifischen Fragen mische ich mich nicht ein. Grundsätzlich ist die Frage, wieviel Geld braucht man, um einer neuen Marke die nötige Aufmerksamkeit zu geben. Oder ob ich das Budget nicht vielleicht besser für neue Entwicklungen nutze.“

Wie sollen sich die Produktlinien Peugeot, Citroen, Opel und DS unterscheiden, wenn Sie gleiche Teile im Konzern nutzen?

Lohscheller: „Opel bleibt deutsch, das ist uns wichtig. Wir haben sehr konkrete Vorstellungen, wie diese Eigenständigkeit aussehen soll, bei Design, Handling, Licht, Sitzen, Armaturen. Beim Crossland X und Grandland X haben wir das schon gezeigt.“

Ihre Eltern fuhren einen Manta, Sie erbten einen Astra von Ihrem Vater. Welche Gefühle verbinden Sie mit den Autos?

Tavares: „Im Manta habe ich fahren gelernt. Als Führerscheinneuling zuerst nur in Portugal, später auch mit meinem Eltern auf Urlaubsreisen ins Ausland. Das waren tolle Erlebnisse für mich.“

Für eine Weile sah es aus, als könnte Opel ein Pionier in Elektromobilität werden. Es gab Gerüchte, dass Opel eine reine Elektromarke wird. Der Ampera-e ist aber nicht oft auf den Straßen zu sehen.

Lohscheller: „Für uns ist der Ampera-e eine große Innovation, mit seiner Reichweite von rund 520 Kilometern. Wir brauchen mehr elektrisch betriebene Autos, auch wenn die Nachfrage noch nicht so hoch ist. Jetzt profitieren wir von den PSA-Technologien und haben dadurch mehr Möglichkeiten. Die Elektrifizierung wird in Zukunft in jedem Fall eine große Rolle spielen. Wir werden unsere Ankündigung halten, nach den ersten 100 Tagen Opel-PSA einen Plan vorzulegen, der auch dieses Thema umfasst.“

Warum gelingt den europäischen Herstellern nicht, einen „Tesla“ zu bauen?

Tavares: „Wir sind dazu in der Lage. Wir nehmen die Entwicklung auf dem Markt der elektrischen Fahrzeuge sehr ernst. Wir werden als PSA für Opel die Technologie beisteuern, die zur weiteren Elektrifizierung nötig ist. Wenn Opel irgendwann eine rein elektrische Automarke werden will, ist das für uns auch okay – vorausgesetzt, dass dies profitabel ist. Die Kunden möchten heute ein elektrisches Auto kaufen, das gut ist. Und die Politik möchte das ansteuern. Aber dahinter steckt für alle Beteiligten eine große Verantwortung.“

Was meinen Sie?

Tavares: „Man muss sich im Klaren sein, welche Tragweite es für die europäische Autoindustrie hätte, würde unisono beschlossen, wir gehen jetzt alle in diese Richtung. Wenn das der verbindliche Weg zur Reduzierung der Emissionen sein soll, muss eine Grundsatzentscheidung gefällt werden. Wenn es funktioniert und Unternehmen damit profitabel sein können, ist das gut. Wenn es aber im Markt nicht funktioniert, haben alle, Industrie, Mitarbeiter und letztlich die Politik, ein großes Problem. Ich will das nur klarmachen: Wir sind für die Elektrifizierung von Autos. Sie muss aber ohne längere Subventionen funktionieren. Von der Recycling-Thematik für die Batterien und die Frage der gesamthaften CO2-Betrachtung ganz abgesehen.“

Wieviel Prozent Ihrer Autos werden in zehn Jahren elektrisch fahren?

Tavares: „Im Jahr 2023 werden rund 80 Prozent unserer Modelle elektrifiziert sein. Rein elektrisch und als Plugin-Hybrid. Es gibt keinen Grund, warum Opel hiervon nicht profitieren könnte.“

Kanzlerin Angela Merkel hat von der Autoindustrie gefordert, sie „müsse mehr tun“…

Lohscheller: „Wir sind mit der Politik in konstantem Dialog. Wir waren beim Dieselgipfel in Berlin, und es wird weitere Gespräche geben. Für uns steht die Flexibilität des Kunden im Vordergrund. Man kann niemanden dazu zwingen, elektrisch zu fahren. Die Kunden haben unterschiedliche Haltungen zu dem Thema – und diesen müssen wir gerecht werden. Wir können nur Modelle anbieten und uns agil den Wünschen unserer Kunden nach diesen Technologien anpassen.“

Es muss aber auch ein vernünftiges Angebot geben.

Tavares: „Natürlich kann die Politik klare Vorgaben machen, was die Senkung der Emissionen insgesamt betrifft -  Schritt für Schritt. Es geht darum, was die beste Technologie ist, um die Ziele zu erreichen. Die Politik sollte sich aber „Technologie-neutral“ verhalten, und nicht vorschnell urteilen. Sie sollte auf das Innovationspotenzial der Autoindustrie und die Fähigkeiten der besten Ingenieure setzen. Und es muss sachlich klargestellt werden, wie die Umweltbelastung gemessen wird. Ich sehe nicht, dass die Politik allein für alle entscheidet, was zur Senkung zu tun und was gut für alle ist, ohne die Beteiligten einzubinden.“

Die Auto-Bosse Tavares (3. v. l.) und Lohscheller (2. v. l.) beim Interview mit den BILD am SONNTAG-Reportern von Appen (r.) und Treser (2. v. r.), Opel-Kommunikationschef Willems, Sprecher Hamprecht (l.) in Box 8

Die Auto-Bosse Tavares (3. v. l.) und Lohscheller (2. v. l.) beim Interview mit den BILD am SONNTAG-Reportern von Appen (r.) und Treser (2. v. r.), Opel-Kommunikationschef Willems, Sprecher Hamprecht (l.) in Box 8

Hand aufs Herz: Schaffen alle aktuellen Opel und PSA-Diesel-Fahrzeuge die Euro-6-Vorgaben?

Loscheller und Tavares: „Ganz klares 'Ja'!“

Kurz nach dem Interview meldet die Zeitung „Le Monde“, PSA soll über 1,9 Millionen Dieselautos mit einer Betrugssoftware verkauft haben. PSA dementiert. Die Gruppe halte geltende Vorschriften in allen Ländern ein. Ihre Fahrzeuge seien niemals mit Software oder Vorrichtungen ausgestattet worden, die eine Konformitätsprüfung erkennen und ein Abgasreinigungssystem aktivieren, das im realen Betrieb auf der Straße ausgeschaltet sei.

Seit erstem September gilt in Europa das neue gesetzliche Testverfahren für Pkw, RDE. Der Verbrauch der Autos wird dabei unter realen Bedingungen getestet und nicht mehr auf dem Prüfstand. Eine Studie des CAR-Instituts der Universität Duisburg-Essen hat ergeben, dass Sie unter reellen Bedingungen den erlaubten Abgaswert um das 6,2-Fache überschritten haben bei Opel.

Lohscheller: „Unsere Fahrzeuge erzielen im realen Straßenverkehr hervorragende Emissionswerte. Das haben unabhängige Tests ganz klar gezeigt.“

Tavares: „Wir haben zusätzlich mit den Nichtregierungsorganisationen „Transport & Environment“ (T&E) und „France Nature Environment“ (FNE) ein wissenschaftliches Testprotokoll zu Emissionen entwickelt. Es basiert auf einem 90 Kilometer-Test in allen Situationen: Stau, Autobahn, Stadt, verschiedene Geschwindigkeiten. Auch Faktoren wie die Klimaanlage und Gepäck werden berücksichtigt. Und alle diese Ergebnisse veröffentlichen wir auf den Internetseiten von Peugeot, Citroen und DS.“

Herr Lohscheller, Sie haben 2008 für Volkswagen in den USA gearbeitet. Haben Sie etwas von „Abgasbetrug" bei Diesel-Fahrzeugen mitbekommen?

Lohscheller: „Nein.“

Neben der Abgasthematik stellen sich der Autoindustrie weitere überlebenswichtige Zukunftsfragen. Etwa der Umgang mit den Digital-Giganten Apple und Google. Haben Sie Angst vorm „Silicon Valley“?

Tavares: „Diese Unternehmen machen sehr viel Geld. Sie haben kluge Menschen, die sie leiten. Sie müssten massiv investieren, um in eine Autoproduktion einzusteigen, die alle Standards erfüllt. Und das, um verglichen mit ihrer Industrie dann wesentlich weniger profitabel zu sein. Die besten Autohersteller der Welt erreichen zehn Prozent Rendite, der Durchschnitt fünf. Dazu kommen viele Unsicherheiten. Und am Ende noch eine emotionale Kaufentscheidung des Kunden. Alles schwer kontrollierbar. Warum also sollten diese klugen Menschen aus dem Silicon Valley mit vollem Elan ausgerechnet der Autoindustrie Konkurrenz machen wollen? Sie sind reich genug, Autofirmen einfach aufzukaufen.“

Es geht ja auch um Daten...

Tavares: „Es gibt ein Angstszenario für die Autohersteller: Ein autonom fahrendes, digital vernetztes Auto. Und es geht nur noch darum, was die Insassen mit ihrer freien Zeit in diesem Raum machen. Sprich, wie sie kommunizieren. Die Hardware, also das fahrende Auto, ist dabei eigentlich egal.“

Wie können Sie bei diesem Szenario ihre Marken in die Zukunft retten?

Tavares: „Es gibt Dinge, die Menschen niemals aufgeben. Zum Beispiel der Wunsch nach Sicherheit. Sie würden nicht einer X-beliebigen Marke vertrauen. Bei PSA glauben wir nicht an den Werbespruch, in dem sich jemand wünscht, dass sein Sohn nie einen Führerschein-Test bestehen muss, weil es dann autonomes Fahren gäbe. Wir wollen das lieber Schritt für Schritt und für den Kunden sinnvoll entwickeln. Außerdem geht es um Komfort. Vernetzung ist Teil dieses Komforts. Dazu kann PSA Partnerschaften mit digitalen Anbietern eingehen. Aber ich sehe nicht, dass in den nächsten 20 Jahren Menschen ihre emotionale Bindung zum Auto aufgeben, auch was das Design angeht. Was ich schon sehe, ist das Risiko, dass individuelle Mobilität eingeschränkt wird. Zum Beispiel, indem nur noch autonome Fahrzeuge auf Autobahnen erlaubt sind. Das wäre eine erhebliche Benachteiligung für Besitzer von Autos, die dann noch nicht autonom fahren. Hier tun sich soziale Ungleichheiten auf, denn autonome Autos werden erst einmal teuer sein…“

Quizfrage: Peugeot hat den Löwen als Symbol, Citroen den doppelten Pfeil. Wissen Sie, woher der Opel-Blitz stammt?

Tavares: „Ich kann mich gerade nicht daran erinnern…“

Lohscheller: „Er wurde aus einem Zeppelin, dem Wahrzeichen der Opel-Fahrzeuge in den 1930er Jahren, entwickelt und prägt seit den 196oer Jahren die Marke Opel.“

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